Unsere Vorstellung von Symmetrie leitet sich vom menschlichen Gesicht her Blaise Pascal Haben Sie schon einmal festgestellt, daß Ihr Gesicht gar nicht symmetrisch ist? Vielleicht haben Sie vor dem Spiegel gestanden und beobachtet, daß die eine Augenbraue anders gebogen ist als die andere oder daß die Nasenspitze leicht, aber eindeutig in eine Richtung zeigt oder daß eines Ihrer Augen etwas schräger steht als das andere? Machen Sie sich keine Sorgen, das ist völlig normal! Kein natürliches menschliches Gesicht ist völlig symmetrisch zur vertikalen Achse. Allerdings sind diese natürlichen Abweichungen in der Regel so klein, daß man sie nicht ohne weiteres wahrnimmt. Selbst bei Menschen, die wir oft sehen, ist uns diese Asymmetrie nicht bewußt, es sei denn, wir sehen uns deren Gesicht speziell auf diese Eigenarten hin genau an. Und wenn Sie schon gerade dabei sind, die Asymmetrie eines Bekannten zu inspizieren, stellen Sie ihn auch vor einen Spiegel und betrachten sich sein Spiegelbild. Kommt es Ihnen nicht auch ein bißchen fremd vor, obwohl sie diesen Menschen eigentlich sehr gut kennen und genau wissen, wie er aussieht? Falten und Muttermale, Haarscheitel, alles, was sie immer auf der rechten Seite wahrgenommen haben, erscheint jetzt auf der linken und umgekehrt. Vielleicht möchten Sie auch, wenn sie fotografiert werden, lieber von der einen als der anderen Seite abgelichtet werden, weil Sie denken, die eine Seite sei Ihre Schokoladenseite, die schönere der beiden. Diese kleinen Differenzen, die Abweichungen von der Perfektion sind doch das, was ein Gesicht interessant macht, sozusagen das "Salz in der Suppe". Also ergänzen wir das einführende Zitat auch durch das folgende: Nichts
bedrückt das Herz so sehr wie Symmetrie Victor
Hugo Wenn wir jetzt wissen, die Gesichtshälften unterscheiden sich, stellt sich die Frage, ob diese Unterschiede wahrnehmbar und systematisch erfaßbar sind. Mit den beiden Gesichtshälften und den Unterschieden in der Attraktivität beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung. Es wird versucht, herauszufinden, ob die eine Seite des Gesichtes attraktiver ist als die andere und, wenn ja, ob dies für alle Menschen die gleiche Seite ist. Als zweite Fragestellung wird mit einbezogen, ob Spiegelungen die Attraktivitätsurteile beeinflussen. Bevor der Stand der Forschung zu diesem Thema im Detail erörtert wird, muß noch eine Konvention für die Benennung der Gesichtshälften festgelegt werden. Wenn in dieser Arbeit von der rechten Gesichtshälfte die Rede sein wird, ist immer die rechte Hälfte aus der Sicht des "Gesichtsträgers" oder "Besitzers" gemeint, die sich auf der gleichen Körperseite wie seine rechte Hand befindet. Diese rechte Hälfte ist also das, was man, wenn man vor dieser Person steht und sie anblickt, links sieht. Das Gleiche gilt analog für die linke Hälfte. Zunächst wird ein überblick über Forschungen auf dem Gebiet Gesichtsasymmetrie und Eindruckswirkung von Gesichtshälften gegeben. Daß die rechte und die linke Gesichtshälfte keine spiegelbildlichen Gegenstücke voneinander sind, ist schon seit der Antike bekannt. In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Wissenschaftler mit dem Phänomen der Lateralität (Seitigkeit) beschäftigt, allerdings unter verschiedenen Gesichtspunkten, zum Beispiel der Frage nach konstanten physiognomischen Unterschieden der beiden Gesichtshälften, der Eindruckswirkung der Hälften oder dem Zusammenhang zwischen Eigenschaften der Gesichtshälften und der Wahrnehmung und Verarbeitung derselben durch die Gehirnhemisphären. Diejenigen Untersuchungen, die mit der vorliegenden in engerem Zusammenhang stehen, werden im folgenden genauer beleuchtet. In unserem kleinen Alltagsbeispiel zur Einführung haben wir bereits darauf hingewiesen, daß die Gesichtshälften nicht gleich sind, sondern mehr oder weniger deutlich voneinander abweichen. Gibt es aber auch eine systematische Abweichung in Größe und Struktur, die für alle Menschen oder eine gewisse Teilpopulation gleich ist und die meßtechnisch nachweisbar ist? Um diese Frage zu klären, betrachten wir den Forschungszweig, der sich mit der Morphologie des Gesichtes beschäftigt. Viele der Untersuchungen in diesem Zusammenhang sind nicht primär psychologischen Ursprungs, sondern entstammen der Anthropologie oder medizinischen Fachrichtungen, wie der Zahnheilkunde oder der Chirurgie. Wir fassen die Untersuchungen zusammen, die Aufschluß darüber geben, ob es konstante physiognomische Unterschiede zwischen den Gesichtshälften gibt, ohne genauer darauf einzugehen, welchem Wissenschaftsgebiet sie entstammen. Ein deutliches Ergebnis im Bereich der Anthropometrie erbrachte die Untersuchung von Koff, Borod und White (1981). Anhand von Frontalfotografien von Studenten wurden Breiten- und Flächenmaße errechnet. Bei Gesichtern, die eine deutliche Größenasymmetrie aufwiesen, war zu 66% die rechte Hälfte die größere. Koff, Borod und Strauss (1985) bestätigten dieses Ergebnis. Hier wurden die Personen in drei Altersgruppen unterteilt, nämlich Neugeborene, Vorschulkinder und junge Erwachsene und ebenfalls deren Frontalfotografien vermessen. In allen drei Alterskategorien war die rechte Gesichtshälfte breiter als die linke. Die Autoren schließen daraus, daß Asymmetrie des Gesichts also keine Funktion des Alters ist, da selbst Neugeborene dieses Muster aufweisen. In den Untersuchungen von Figalova (1969) und Burke (1979) ergibt sich ein ähnliches Bild. Sie errechneten, daß in über 70% aller Fälle die rechte Gesichtshälfte größer ist als die linke. Nelson und Horowitz (1980) kamen mit ähnlicher Fragestellung und Methode ebenfalls zu dem Schluß, daß die linke Gesichtsseite insgesamt schmaler als die rechte ist. Ferrario, Sforza, Pogio und Tartaglia (1993) teilten bei ihrer Untersuchung das Gesicht horizontal in drei Teile und hielten als Ergebnis fest, daß das untere Drittel der rechten Hälfte breiter ist als das der linken, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Allerdings ist dieser Unterschied bei Männergesichtern stärker ausgeprägt. In anderen Untersuchungen sind jedoch keine signifikanten Unterschiede in der Größe oder Fläche der Halbgesichter festgestellt worden (z.B. Burke, 1971) oder sogar ein Größenvorsprung für die linke Hälfte des Gesichtes (Vig und Hewitt, 1975). Sackheim (1985) faßt die Befunde zu morphologischen Messungen in seinem überblick so zusammen: "...there does not appear to be any agreement in the literature in identifying a facial morphologic feature that is consistently asymmetric." (Sackheim, 1985, S. 309). Sackheim bezieht sich dabei sowohl auf Untersuchungen zur Ausmessung der Knochenstruktur (hard tissue) als auch der Fett- und Gewebeschicht (soft tissue). Wenn auch in den einzelnen Untersuchungen signifikante Unterschiede gefunden wurden, gibt es dennoch keine übereinstimmung bezüglich der Richtung dieser Differenzen. Seine Kritik bezieht sich auch auf die Meßmethoden, da außer einer eigenen Studie (Sackheim, Weilman und Forman, 1984) alle anderen nur auf der Ausmessung des Originalfotos beruhen. Die gleiche Prozedur an spiegelbildlichen Fotos durchgeführt, erbringt aufgrund des Raterbias andere Ergebnisse, zumal sich die gefundenen signifikanten Differenzen im Bereich von weniger als einem Millimeter bewegen. Die Frage von systematischen physiognomischen Unterschieden der beiden Gesichtshälften ist wohl noch nicht abschließend geklärt, wenngleich sich im überwiegenden Teil der Forschung ein Größenvorteil für die rechte Hälfte abzeichnet. In einer Studie neueren Datums von Smith (1998) wird das Thema Größenunterschiede der Gesichtshälften in Zusammenhang mit unterschiedlicher Aktivierung der Gehirnhemisphären gesehen. Smith geht davon aus, daß eine Hemisphäre maßgeblich für die Aktivierung der kontralateralen Gesichtshälfte verantwortlich ist, zumindest was den Bereich unterhalb der Augen betrifft (vgl. Thompson, 1982). Er stellte 4 Personengruppen zur Ausmessung der Gesichtsfläche zusammen, nämlich Angehörige von humanwissenschaftlichen Fakultäten (Sprachen, Religion, Philosophie), von mathematischen Fakultäten (Mathematik, Physik), von der psychologischen Fakultät und eine randomisierte Gruppe von nichtakademischen Angestellten verschiedener Fakultäten. Seine Hypothese besteht darin, daß Individuen, deren kognitive Aktivitäten überwiegend von einer Gehirnhälfte bestimmt werden, einen Größenvorteil auf der kontralateralen Gesichtsseite zeigen sollten, das heißt, daß beispielsweise Mitglieder der mathematischen Fakultät, die ja überwiegend mit nonverbalen, mathematischen und räumlichen Aufgaben beschäftigt sind, die nach allgemeiner Ansicht eher von der rechten Hemisphäre dominiert werden, einen Größenvorteil der linken Gesichtshälfte aufweisen sollten. Die Voraussage war also, daß Humanwissenschaftler, die sich überwiegend mit sprachlichem Material beschäftigen, einen Rechtsvorteil aufweisen sollten, Mathematiker einen Linksvorteil und die beiden anderen Gruppen keine signifikante Abweichung in einer bestimmten Richtung, da bei Psychologen nicht von einer Spezialisierung der kognitiven Aktivitäten gesprochen werden kann und sich bei der Zufallsgruppe die individuellen Unterschiede wieder ausgleichen sollten. Die Ausmessung der Gesichtsareale unter den Augen geschah mit Hilfe eines Computerprogramms, das Flächenmaße von den eingescannten Frontalfotografien errechnete, und zwar als relative Größe in Quadratzentimetern. Smith konnte seine Hypothesen bestätigen: Bei den Humanwissenschaftlern wiesen 23 von 30 Personen eine größere rechte Gesichtshälfte auf, 26 der 30 Mathematiker und Physiker einen Linksvorteil. Bei Psychologen und der Zufallsstichprobe fanden sich keine signifikanten Abweichungen vom Mittel. Smith´s Interpretation dieser Ergebnisse besagt, daß bestimmtes Material überwiegend von der einen oder der anderen Gehirnhälfte verarbeitet wird. Diese Gehirnhälfte ist ebenso zuständig für die Aktivierung der gegenüberliegenden Gesichtsseite, auf der sich durch einseitige Muskelentwicklung eine deutliche Gesichtsasymmetrie herausbildet. Die Kritik an dieser Untersuchung besteht darin, daß die Verteilung der Geschlechter nicht ausbalanciert war. Insgesamt waren 71% der Stimuluspersonen männlich. Smith selbst gesteht zu, daß das Geschlecht möglicherweise ebenfalls die Gesichtsasymmetrie determinieren könnte. Welchen biologischen Sinn hat nun die Asymmetrie des Gesichtes? Transportieren die beiden Hälften möglicherweise unterschiedliche Informationen für den Betrachter? Und wenn dies so ist, welche Seite des Gesichts übermittelt die Identität des Gesichtsträgers? Oder, einfacher ausgedrückt, welche der beiden Hälften gleicht dem Gesamtgesicht mehr? Wolff (1933) war wohl der Erste, der dieser Frage systematisch nachging. Er stellte Gesichter her, die aus zwei gleichen Gesichtshälften bestanden, sogenannte Composites. Die Herstellung erfolgte so, daß ein Negativ einmal normal orientiert und einmal spiegelverkehrt abgezogen und beide Bilder an der Mittellinie vertikal auseinandergeschnitten wurden. Die beiden korrespondierenden Hälften, also jeweils die beiden rechten oder die beiden linken wurden zu einem vollständigen, symmetrischen Gesicht wieder zusammengesetzt.[1] Den Versuchspersonen wurden das Originalfoto und die beiden Composites vorgelegt und sie sollten entscheiden, welches der beiden symmetrischen Bilder dem Original mehr glich. Wolff stellte als Ergebnis fest, daß es überwiegend die rechte Hälfte, genauer gesagt, das aus den beiden rechten Hälften zusammengesetzte Composite war, das dem Original mehr ähnelte. Wolffs Untersuchung wurde von McCurdy (1949) mit einer fast identischen Versuchsanordnung repliziert. Seine Schlußfolgerung klingt etwas reservierter als die von Wolff, weist aber in die gleiche Richtung: „Der Gesamteindruck des ganzen Gesichtes ist im allgemeinen mehr von der einen als der anderen Seite beeinflußt, und dies öfter von der rechten als von der linken.“ (McCurdy, 1949, S. 554, übers. d. Verf.). Aus seinen Ergebnissen geht hervor, daß es durchaus auch Gesichter gibt, bei denen das linke Composite das Original besser repräsentiert. Dies ist aber seltener der Fall als eine Dominanz der rechten Seite. Lindzey, Prince und Wright (1952) führten eine ähnliche Untersuchung durch, bezogen aber eine zusätzliche Fragestellung mit ein. Neben der Erforschung, welche Gesichtshälfte dem Vollgesicht ähnlicher ist, wurde eine Selbst- und Fremdbeurteilung der hergestellten Composites durchgeführt, um festzustellen, ob die verschiedenen Gesichtshälften beim Betrachter unterschiedliche Eindrücke hervorrufen. Die Selbstbeurteilung erfolgte in Form einer freien Beschreibung bzw. einer kleinen Geschichte durch die fotografierten Stimuluspersonen selbst bezüglich ihrer symmetrischen Bilder. Die Fremdbeurteilung wurde von neutralen Versuchspersonen durchgeführt, die die Composites auf einer Ratingskala mit Bezug auf sieben Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Intelligenz, Aggressivität oder Nervosität einschätzen sollten. Auch in diesem Experiment ergaben die Befunde zur ersten Teilfrage, welche Hälfte dem Gesamtgesicht mehr ähnelt, in übereinstimmung mit den bereits erwähnten Untersuchungen, daß die rechte Hälfte dominierend für die Erfassung der Identität ist. Bezüglich der Selbst- beziehungsweise der Fremdbeurteilungen der Gesichtshälften fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Die Urteiler stimmten in dieser Erhebung nicht in der Attribution von Persönlichkeitsmerkmalen zu den Gesichtshälften überein. Die Gemeinsamkeit der vorgenannten Experimente liegt in der Interpretation der Ergebnisse. Die übermittlung von Information über die Identität als Grundlage des Wiedererkennens und Zuordnens wird als typische Eigenschaft der rechten Gesichtsseite beschrieben. Diese Ansicht galt für etwa 40 Jahre als einzige Erklärung, bis Gilbert und Bakan (1973) eine Alternativerklärung für dieses Phänomen der überlegenheit der rechten Seite vorschlugen. Ihre Annahme war die, daß weniger ein der Gesichtsseite inhärentes Merkmal diesen Effekt hervorruft, sondern die Tatsache, daß man das asymmetrische Original als Vergleichsgesicht nur in dieser Orientierung sieht und dessen Hälften in verschiedene visuelle Felder fallen.[2] Gilbert und Bakan prüften ihre Hypothese mit ähnlicher Versuchsanordnung wie die anderen Autoren, mit dem Unterschied, daß sie der Hälfte der Versuchspersonen als Referenzbild das Original, der anderen Hälfte sein Spiegelbild darboten. Abhängiges Maß der Untersuchung war in jeder der beiden Gruppen die Anzahl der Entscheidungen für das rechte Composite. Die Ergebnisse bestätigten die Arbeitshypothese: Die Wahlrate für das rechte Composite war in der Originalbedingung signifikant höher als in der Spiegel-Bedingung. Von 18 Bildern erhielten 16 die höhere Wahlrate in Originalorientierung mit einem Mittelwert von 60%. Die Entscheidung für das rechte Composite betrug jedoch nur 40%, wenn das Spiegelbild zum Vergleich vorlag. Dieser Befund war unabhängig vom verwendeten Medium der Darbietung, nämlich einmal als Fotoset auf einem Tisch und in einem zweiten Durchgang als Diaprojektion. Die Bestimmung, welches symmetrische Gesicht dem asymmetrischen ähnlicher sieht, wird also bestimmt von der Gesichtsseite, die sich im linken visuellen Feld des Betrachters befindet. Ob diese Art der Wahrnehmung von Gesichtern auf die Lesegewohnheit eines Menschen - von links nach rechts - zurückgeht, wurde in einem dritten Teilexperiment erforscht. Eine israelische Stichprobe sollte, falls die Lesegewohnheit tatsächlich ausschlaggebend sein sollte, genau umgekehrte Ergebnisse erbringen, denn hebräisch wird von rechts nach links gelesen. Diese Vermutung konnte allerdings nicht bestätigt werden. Gilbert und Bakan schließen daraus, daß dieser Effekt nicht auf ein Scannen des Gesichtes in der Abfolge des Lesens zurückgeht, sondern auf einen allgemeinen Vorteil des linken visuellen Feldes für Entscheidungen über Identität und ähnlichkeit. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, daß, wenn von visuellen Feldern bei der Gesichterwahrnehmung die Rede ist, in der Regel davon ausgegangen wird, daß der Fixationspunkt in der Gesichtmitte, also der Region der Nase, liegt. Das Signal, bzw. die Gesichtshälfte, die links von diesem Fixierpunkt liegt, wird auf der rechten Seite der Retina beider Augen abgebildet, deren optische Fasern die Verbindung mit der rechten Gehirnhälfte herstellen. Analog werden Informationen des rechten visuellen Feldes, also Objekte, die rechts vom Fixierpunkt liegen, zur linken Hirnhälfte transmittiert. Zur Verdeutlichung dient Abbildung 1.1. Das Objekt, das im linken visuellen Feld dargeboten wird, in diesem Fall "A", wird zur rechten Gehirnhälfte transmittiert und dort primär verarbeitet. Analog gilt der Vorgang für Objekte im rechten visuellen Feld. Abbildung 1.1: Einfluß des visuellen Feldes. Zum gleichen Ergebnis wie Gilbert und Bakan bezüglich der Identitiätsbeurteilung kommen Chen, German und Zaidel (1997), die ein ähnliches Setting wie die Vorgenannten benutzen. Die Beantwortung der Frage, welches Halbgesicht dem vollständigen Gesicht ähnlicher sieht, hängt also maßgeblich davon ab, in welchem visuellen Feld die Gesichtshälften erscheinen. In diesem Zusammenhang sollten auch die Untersuchungen von Bennett, Delmonico und Bond (1987) und Overman und Doty (1982) erwähnt werden, die zu den gleichen Schlußfolgerungen kommen. Rhodes (1985) bestätigt die überlegenheit des linken visuellen Feldes. Die Entscheidung für ein Composite ist davon beeinflußt, welche Seite man auf dem Vergleichsgesicht links sieht, also was auf den Betrachter wie eine rechte Hälfte wirkt. Dieser Effekt ist noch deutlicher, wenn es sich um ein Spiegelbild als Referenzgesicht handelt, das linke Halbgesicht also im linken visuellen Feld erscheint. Dieser Einfluß wird sowohl bei der Präsentation von unbekannten Gesichtern als auch der Darbietung von Prominentengesichtern gleichermaßen signifikant. Allerdings konnte dieses Ergebnis nur unter free-vision und nicht unter der Versuchsbedingung der Fixationskontrolle mittels tachistoskopischer Darbietung gefunden werden. Rhodes interpretiert dies im Gegensatz zu Gilbert und Bakan als einen Hinweis darauf, daß die Wahlraten aus einem asymmetrischen Scannvorgang der beobachteten Objekte resultieren. Einen primären Einfluß des visuellen Feldes schließt sie aus, weil die Ergebnisse nicht unter Fixationskontrolle repliziert werden konnten. Diesen Untersuchungen zufolge scheint die Frage, ob die eine oder die andere Gesichtshälfte primär Informationen über die Identität des Gesichtsträgers übermittelt, hinreichend geklärt. Es ist keine spezifische Eigenheit der Gesichtshälfte, sondern abhängig von der Wahrnehmung und Verarbeitung durch eine Gehirnhemisphäre. Allerdings zeigen Untersuchungen, die sich in anderer Form mit der Frage von Wiedererkennen und Identitätsurteilen beschäftigen, ein etwas anderes Profil auf. Die Methodik von Kennedy, Beard und Carr (1982) sowie von Kennedy, Scannapieco, Mills und Carr (1985) war die, daß Versuchspersonen Fotos von Vollgesichtern dargeboten wurden, die sie sich einprägen sollten. Im Posttest nach einer Woche wurde die Behaltensleistung erhoben, und zwar in drei verschiedenen Bedingungen. Jeweils ein Drittel der Versuchspersonen sah das ganze Gesicht oder nur die linke oder nur die rechte Hälfte und sie mußten angeben, ob sie dieses Gesicht vorher schon gesehen hatten. Die Behaltensleistung wurde anhand der Fehlerrate gemessen. Es zeigte sich, daß in der ersten Bedingung, in der sowohl in der Merk- als auch in der Abrufphase das ganze Gesicht dargeboten wurde, am wenigsten Fehler gemacht wurden. In der Bedingung, in der die Personen zum Vergleich nur die linke Hälfte des Gesichts sahen, waren es nur unwesentlich mehr. Die Fehlerquote war in der Bedingung, in der nur die rechte Gesichtshälfte im Posttest gesehen wurde, am höchsten. Diese Ergebnisse scheinen in Widerspruch zu den oben erwähnten zu stehen. Die rechte Gesichtshälfte, die primär das Wiedererkennen dominieren müßte, wenn ein Originalgesicht zum Vergleich geboten wird, schnitt hier sehr schlecht ab. Kennedy et al. zufolge resultieren diese Differenzen aber aus der unterschiedlichen Methodologie, also ob das Referenzgesicht zum Vergleich sofort zur Verfügung steht oder ob eine Behaltensleistung über eine gewisse Zeit erfolgt. Bei der Gesichterwahrnehmung ist, wie durch die oben angeführten Studien untermauert, das visuelle Feld von großer Bedeutung. Die Wahrnehmungsunterschiede der visuellen Felder stehen im Zusammenhang mit der Spezialisierung der Gehirnhälften für die jeweiligen Verarbeitungsprozesse. Wenn das linke visuelle Feld beherrschend ist für Identitätsurteile, schließt man daraus, daß diese primär in der kontralateralen Hemisphäre, der rechten, gefällt werden. Aber diese Lateralisierung gilt nicht nur für die Wahrnehmung, sondern auch für die Steuerung und Aktivierung der Körperhälften durch die entgegengesetzte Hirnhälfte. Man geht, vereinfacht gesagt, davon aus, daß die Gehirnhälften mit der kontralateralen Gesichtsseite in Verbindung stehen und diese aktivieren. Im folgenden möchte ich einige Untersuchungen darstellen, die sich primär mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit sich die Gesichtshälften bei der Abbildung von Emotionen unterscheiden. Da dieses spezielle Thema nur marginal mit unserer eigenen Arbeit zusammenhängt, soll der überblick relativ kurz erfolgen. Sackheim und Gur (1978) stellten das Stimulusmaterial auf der Basis des Fotosatzes von Ekman und Friesen (1975) zusammen. Aus den Gesichtern von 35 männlichen und 35 weiblichen Stimuluspersonen, die jeweils verschiedene Emotionen zeigten (z.B. Angst, Ekel, überraschung), wurden aus den Originalen rechte und linke Composites hergestellt und den Versuchspersonen als Tripel mittels eines Diaprojektors dargeboten. Auf jedem Dia waren ein Original, ein rechtes und ein linkes Composite zu sehen mit verschiedenen Emotionen von verschiedenen Stimuluspersonen. Beispielsweise waren ein Originalgesicht der Stimulusperson A mit der Emotion ärger dargeboten, ein rechtes Composite einer Stimulusperson B mit überraschtem Gesichtsausdruck und ein linkes Composite, auf dem eine Person C Freude zeigte. Die Versuchspersonen sollten beurteilen, welche Emotion sie sahen und wie intensiv ihrer Meinung nach die ausgedrückte Emotion sei. Linksseitig zusammengesetzte Bilder wurden als emotional intensiver beurteilt als rechtsseitig zusammengesetzte, unabhängig von der Qualität der dargestellten Emotion. Dieses Ergebnis wird als überlegenheit der rechten Gehirnhälfte bei der Kontrolle des emotionalen Ausdrucks interpretiert, da diese die Aktivierung der linken Körperhälfte steuert und damit auch die der linken Gesichtshälfte. Andere Autoren gehen davon aus, daß die Qualität der ausgedrückten Emotion eine wichtige Rolle spielt. Diamond und Farrington (1977) beispielsweise fanden die überlegenheit der rechten Hemisphäre nur bei negativer affektiver Information, wohingegen positive Affekte von der linken Hirnhälfte verarbeitet werden. ähnliche Ergebnisse finden sich bei Campbell (1978); Sackheim, Gur und Saucy (1978) und Borod und Caron (1980). Alle diese Untersuchungen benutzen als Stimulusmaterial Fotos mit gestelltem Gesichtsausdruck. Die Stimuluspersonen wurden bei der Aufnahme aufgefordert, die jeweiligen Emotionen darzustellen. Wenn Fotografien als Vergleichsobjekte herangezogen werden, ist es verständlicherweise sehr schwer, einen spontanen, natürlichen Affekt einzufangen. In der folgenden Studie wird die Lateralisierung in einem weniger künstlichen Setting untersucht. Ein spontaner, unwillkürlicher Gesichtsausdruck ist nach Moscovitch und Olds (1981) sehr häufig asymmetrisch. Ihre Methode unterschied sich von den bereits erwähnten insofern, als sie keine Fotografien benutzten oder Composites herstellten, sondern die "Originale" beobachteten, indem sie Menschen in natürlicher Interaktion auf Videobändern aufnahmen. Aus deren Analyse stellten sie als Ergebnis fest, daß bei Rechtshändern die asymmetrischen Emotionen eher auf der linken als der rechten Gesichtsseite auftauchen und dies bei Frauen noch häufiger der Fall ist als bei Männern. Linkshänder dagegen weisen keine konsistente Asymmetrie auf. Im Gegensatz dazu stellen Borod, Caron und Koff (1981) fest, daß die Asymmetrie des Gesichtsausdrucks mit einer größeren Intensität auf der linken Seite unabhängig ist von der Handpräferenz der Personen. Allerdings bestand das Stimulusmaterial hier wiederum aus Fotografien. Die Unterschiede dieser Befunde könnte man also auch mit der Verschiedenheit des Stimulusmaterials erklären. Im allgemein stimmen die Forscher darin überein, daß sich insgesamt auf der linken Gesichtsseite Emotionen deutlicher abzeichnen, obgleich einige Forscher von Ergebnissen berichten, die sich von den genannten in verschiedener Hinsicht unterscheiden. Meist beruhen die Unterschiede auf Interaktionen mit zusätzlich erhobenen Variablen, beispielsweise mit der Intensität des Ausdrucks (Mandal, Asthana und Pandey, 1994). Nach Làdavas (1982) ist die häufig gefundene überlegenheit der linken Gesichtshälfte bezüglich des emotionalen Ausdrucks allerdings keine angeborene Eigenschaft, sondern unterliegt Wachstum und Entwicklung, da diese Lateralisierung bei Kindern vor dem elften oder zwölften Lebensjahr nicht gefunden werden konnte. Einen überblick über die wichtigen Studien zur Asymmetrie des Gesichtsausdrucks mit einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Methoden (Alter und Geschlecht der Stimuluspersonen und Beurteiler, Art des verwendeten Materials, Art der Auswertung und Ergebnisse) findet man bei Thompson (1985). Die erwähnten Untersuchungen weisen deutlich darauf hin, daß beim Abbilden der Emotionen auf dem Gesicht die Gehirnhemisphären eine ungleiche Rolle spielen. Im folgenden Abschnitt wollen wir uns ansehen, ob bei der Gesichterwahrnehmung durch den Betrachter ein ähnlich asymmetrischer Prozeß vorliegt. Wir gehen darin genauer auf den Aspekt des visuellen Feldes bei der Betrachtung des Stimulusmaterials ein sowie auf den Einfluß, den die Händigkeit der Versuchspersonen dabei nehmen kann.[3] Abbildung 1.2: Schematische Gesichter von Jaynes. Ein bekanntes Experiment in diesem Zusammenhang stammt von Jaynes (1976). Er bot den Versuchspersonen zwei schematische Gesichter dar, die genaue Spiegelbilder voneinander waren. Das Gesicht zeigt dabei einen unsymmetrischen Gesichtsausdruck. Auf dem oberen Bild liegt das Lächeln, vom Betrachter aus gesehen, auf der rechten Seite, auf dem unteren Bild auf der linken Seite (siehe Abbildung 1.2). Auf die Frage, welches der beiden Gesichter glücklicher aussieht, wählten 80% der rechtshändigen Versuchspersonen das untere mit dem Lächeln im linken visuellen Feld, aber nur 45% der Linkshänder. Jaynes schließt auf eine deutliche Dominanz des linken visuellen Feldes und der rechten Gehirnhälfte bei Rechtshändern bezüglich der Verarbeitung von Gesichtern. Linkshänder weisen keine Spezialisierung der Hemisphären auf. An der Methode von Jaynes wurde verschiedentlich Kritik geübt; eine Replikation von Roszkowski, Snelbecker und Rosen (1986) ergab aber ähnlich deutliche Ergebnisse, die ebenfalls als Vorteil des linken Gesichtsfeldes gewertet wurden. Die Jaynes´schen Gesichter wurden sogar als relativ zuverlässiges Item bezeichnet, um Rechts- und Linkshänder zu unterscheiden, beispielsweise in einem Händigkeitsfragebogen. Eine ähnliche Vorgehensweise, allerdings mit realen Gesichtern anstatt schematischen Zeichnungen verwendeten Levy, Heller, Banich und Burton (1983). Aus zwei Fotos derselben Stimulusperson, die einmal lächelte und einmal einen neutralen Gesichtsausdruck präsentierte, wurden chimärische Gesichter hergestellt. Die Ursprungsfotos wurden mittig auseinandergeschnitten und so zusammengesetzt, daß sich auf der einen Seite eine lächelnde und auf der anderen Seite eine neutrale Fotohälfte befand. Die beiden entstehenden zusammengesetzten Gesichter wurden jeweils gespiegelt, so daß von jeder fotografierten Person vier Chimärenbilder vorhanden waren. Die Händigkeit der Stimulusperson sowie der Versuchspersonen wurde dabei als Variable miterhoben. Die Gesichter wurden als Paare von Original- und Spiegelversion dargeboten, sowohl in einer free-vision als auch in einer Dia-Bedingung und die Versuchspersonen sollten entscheiden, welches der Bilder glücklicher aussieht. Wie erwartet, konnte für Rechtshänder ein signifikanter Bias zugunsten des linken visuellen Feldes gefunden werden, d.h. die Bilder, bei denen das Lächeln vom Beobachter gesehen links erscheint, wurden überwiegend als die fröhlicheren bezeichnet. Eine Asymmetrie in der gleichen Richtung konnte auch für Linkshänder beobachtet werden, die aber deutlich geringer ausfällt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Heller und Levy (1980), die ebenfalls einen Vorteil des linken visuellen Feldes, allerdings nur für rechtshändige Beobachter, finden. In einer Untersuchung von Schwartz und Smith (1978) wurden chimärische Gesichter aus zwei verschiedenen Stimuluspersonen hergestellt und diese tachistoskopisch so dargeboten, daß jede Gesichtshälfte in einem anderen visuellen Feld zu sehen war. Aufgabe der Versuchsperson war es, nach jedem Durchgang aus einem Set von Vollgesichtern diejenigen beiden herauszusuchen, die sie gerade als zusammengesetzte Halbgesichter gesehen hatten. In jedem Durchgang wurden verschiedene auditive Stimuli simultan präsentiert, um zu prüfen, ob eine Aufmerksamkeitslenkung die Lateralisierungseffekte beeinflußte. Unabhängig von der auditiven Ablenkung zeigte sich, daß die Anzahl richtiger Wahlen für diejenigen Gesichter höher war, die im linken Gesichtsfeld dargeboten wurden. Die Autoren gehen von einem robusten Effekt der überlegenheit des linken visuellen Feldes und damit der rechten Gehirnhälfte für Wiedererkennensleistungen und Gesichterverarbeitung aus. Dieser häufig gefundene Effekt scheint allerdings nur bei menschlichen Gesichtern zu existieren. Rhodes, Ronke und Tan (1990) prüften außer dem Vorteil des linken visuellen Feldes bei Gesichtern auch andere visuelle Stimuli. Bei keinem der anderen Beobachtungsobjekte wie Landschaften, abstrakten Bildern oder Tiergesichtern wurden Asymmetrien in der Wahrnehmung gefunden. Der Bias für Gesichterwahrnehmung geht in die gleiche Richtung wie bei den bereits erwähnten Untersuchungen. Die bis hier vorgestellten Autoren unterscheiden nicht zwischen verschiedenen Arten von Emotion, bzw. haben in ihrer Versuchsanordnung nur den Gegensatz neutral - lächelnd in Betracht gezogen. Andere Autoren wie Burton und Levy (1989) unterschieden die Art des Affekts und teilten sie in positive und negative Emotionen ein. Sie benutzten eine Reaktionszeitmessung als Untersuchungsmethode. Die Versuchspersonen sollten die Kongruenz von entweder einem eine Emotion beschreibenden Wort und einem Gesicht oder die Kongruenz der Emotion von zwei dargebotenen Gesichtern beurteilen. Das Wort oder das Vergleichsgesicht befanden sich jeweils im Fixationspunkt, wurden also zentral präsentiert, das zu beurteilende Gesicht befand sich lateral, und zwar entweder im linken oder im rechten visuellen Feld. Die Reaktionszeiten waren für negative Emotionen im linken visuellen Feld kürzer, für positive Emotionen im rechten visuellen Feld, unabhängig davon, ob zwei Gesichter oder ein Wort und ein Gesicht verglichen wurden. Allerdings wurde dieses Ergebnis nur bei weiblichen Versuchspersonen signifikant, obwohl Männer tendenziell die gleiche Richtung aufwiesen. Bryson, McLaren, Wadden und MacLean (1991) benutzten ebenfalls eine Reaktionszeitmessung. Die Versuchspersonen sollten während der Darbietung der chimärischen Stimuli, die dem Set von Ekman und Friesen entnommen wurden, entscheiden, auf welcher Seite die intensivere Emotion dargestellt wird. Die Stimulusfotos bestanden aus einem emotionalen und einem neutralen Halbgesicht jeder Stimulusperson sowie deren Spiegelbildern. Bryson et al. kommen zu dem Schluß, daß bei der Präsentation von original orientierten Fotos ein Vorteil des linken visuellen Feldes für fröhliche Gesichter (signifikant kürzere Reaktionszeit) und tendenziell ein Vorteil des rechten visuellen Feldes für traurige Gesichter besteht. Bei spiegelbildlich dargebotenem Stimulusmaterial kehrt sich das Muster um. Bryson et al. schließen daraus, daß bei dieser Art der Wahrnehmung das visuelle Feld zusammen mit der Valenz der Emotion die Reaktionen determiniert. Die Gesichtshälfte als solche spielt also hier eher eine untergeordnete Rolle. Everhart, Harrison und Crews (1996) untersuchten die Wahrnehmungsasymmetrien speziell im Hinblick auf die Handpräferenz der Versuchspersonen. Emotionale Gesichter, jeweils zehn, die einen glücklichen, neutralen oder wütenden Ausdruck zeigten, wurden zufällig aus dem Set von Ekman und Friesen ausgewählt. Diese wurden auf drei Arten abgebildet, und zwar so, daß jedes Gesicht einmal zentral und einmal jeweils im linken oder im rechten visuellen Feld des Betrachters lagen. Mit Hilfe eines Tachistoskopes wurde jedes der Bilder für 250 Millisekunden dargeboten. Die Versuchspersonen, deren Händigkeit durch den Fragebogen von Coren, Porac und Duncan (1979) bestimmt wurde, sollten die Art des wahrgenommenen Affekts berichten. Darüber hinaus wurde eine Reaktionszeitmessung vorgenommen. Als Ergebnis wird festgehalten, daß Linkshänder neutrale Stimuli im linken visuellen Feld häufiger als glücklich bezeichneten und neutrale Stimuli im rechten visuellen Feld häufiger als wütend. Die Wahrnehmung der neutralen Gesichter durch Rechtshänder war für beide visuelle Felder einheitlich. Bezüglich ihrer Reaktionszeit unterschieden sich beide Händigkeitsgruppen nicht voneinander. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen auf einen negativen affektiven Bias im rechten visuellen Feld für neutrales Stimulusmaterial, der nur für Linkshänder gilt. Der Einfluß des visuellen Feldes ist also nicht identisch für Rechts- und Linkshänder. Weitere Untersuchungen mit ähnlichen oder unterschiedlichen Methoden findet man bei Finlay und French (1977), Campbell (1978), Buchtel, Campari, De Risio und Rota (1978), Ley und Bryden (1979), Mc Keever und Dixon (1981), Levine und Levy (1986), Hoptman und Levy (1988), Harrison und Gorelczenko (1990) und Luh, Redl und Levy (1994). Insgesamt konnte der Befund der überlegenheit des linken visuellen Feldes bei der Beurteilung von Emotionen bestätigt werden. Einen überblick über die in diesem Zusammenhang oft benutzten Untersuchungsmethoden und Aufgabenstellungen bieten Sergent und Bindra (1981). Die am häufigsten verwendeten Methoden sind Unterscheidungsaufgaben, Wiedererkennensaufgaben und Identifikationsaufgaben. Die Auswertungsmethoden richten sich jeweils nach der interessierenden Fragestellung. Häufig werden Reaktionszeiten oder die Anzahl korrekter Antworten erhoben. Zum Abschluß des überblicks zu den Auswirkungen des visuellen Feldes möchte ich noch die Untersuchung von Burt und Perrett (1996) genauer darstellen, weil deren Ergebnis auch für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit von Bedeutung ist. Untersucht wurden von Burt und Perrett die Dimensionen Gesichtsausdruck, Geschlecht, Alter, Attraktivität und Lippenlesen. Erwartet wurde, daß für all diese Dimensionen der Bias auf dem linken visuellen Feld liegt, d.h., daß sich die Versuchspersonen bei ihrer Einschätzung eher von dem leiten lassen, was aus ihrer Sicht links auf dem Bild erscheint. Die Herstellung des Stimulusmaterial werde ich exemplarisch anhand der Dimension Alter vorstellen. Die männliche Alter-Stimulusperson wurde aus gemorphten Gesichtern von Männer verschiedenen Alters hergestellt. Für ein Bild wurden 21 Männergesichter mit einem Durchschnittsalter von 22 Jahren übereinandergeblendet, für ein anderes 18 Gesichter vom Männern, die durchschnittlich 51 Jahre alt waren. Diese Bilder wurden so transformiert, daß die Gesichter symmetrisch waren und wurden an der Mittellinie auseinandergeschnitten und mit dem Gegenstück der anderen Altersgruppe zusammengesetzt. Falls notwendig, wurde eine Größenanpassung der beiden Hälften vorgenommen. Die Manipulation der Bilder in den anderen Bedingungen erfolgte analog. Es wurden lachende und traurige Bilder zusammengeschnitten, männliche und weibliche, sowie Personen, die die Laute "ee" bzw. "ss" während der Aufnahme sagten. Die Sets für die Attraktivitätsdimension teilten sich in vier Gruppen auf, nämlich zum einen männliche und weibliche "Normalgesichter" und zum anderen männliche und weibliche "Modelgesichter", die überwiegend Modezeitschriften entstammten. Der eigentlichen Untersuchung war ein Rating vorangegangen, bei dem die Stimuluspersonen jeder Gruppe in besonders attraktive und weniger attraktive eingeteilt wurden. Ein Chimärengesicht der Attraktivitätsdimension bestand also aus einer symmetrisierten gemorphten Hälfte von sehr attraktiven und einer symmetrisierten gemorphten Hälfte von weniger attraktiven Personen. Das eigentliche Experiment bestand darin, daß eine Stimulusperson zusammen mit ihrem Spiegelbild übereinander dargeboten wurde, wobei die Orientierung oben und unten ausbalanciert war. Die Versuchspersonen mußten jeweils entscheiden, welche der Personen auf den beiden Bildern ihnen beispielsweise jünger erschien. Die Entscheidungen in den anderen Bedingungen erfolgten nach höherer Attraktivität, nach dem Geschlecht, nach der Stimmung und nach dem Laut, den die Stimulusperson im Moment der Aufnahme wohl von sich gab. Die überlegenheit des linken visuellen Feldes wurde signifikant für Alter, Geschlecht und Gesichtsausdruck. Das heißt, die Versuchspersonen fällten ihre Urteile nach dem Halbgesicht, das sie vor sich auf der linken Seite sahen. Für die Dimension Attraktivität konnte dieser Bias in zwei der vier Stimulussets gefunden werden, und zwar für die Sets beider Geschlechter, die aus einer Population von "Normalgesichtern" hergestellt wurden. Für die beiden anderen Sets von männlichen und weiblichen Modelgesichtern wurden die Ergebnisse nicht signifikant. Für die Bedingung Lippenlesen zeigte sich ein umgekehrter Effekt: Die Versuchspersonen tendierten eher dazu, die Information anzugeben, die sie über das rechte visuelle Feld erhielten. Die Breite der Variabilität in den spezifischen Fragestellungen und Untersuchungsmethoden ist einigermaßen verwirrend. Die bis hierher referierten Studien haben zwei Dinge gemeinsam: Zum einen das Stimulusmaterial, das überwiegend aus chimärischen, asymmetrischen Gesichtern besteht und die Betonung des Einflusses des visuellen Feldes, das die Beurteilung determinieren kann. Dabei standen meist die dargebotenen und wahrgenommenen Emotionen im Vordergrund. Im folgenden werde ich Untersuchungen vorstellen, die daran nicht interessiert sind, welchen Einfluß das visuelle Feld hat und damit auch wenig Gewicht auf die Fixationskontrolle legen. Vielmehr beschäftigen sie sich mit den beiden Gesichtshälften als solche und der Frage, ob den beiden Gesichtshälften auch unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale attribuiert werden. Aus vielen Studien der Attraktivitäts- und Personbeurteilungsforschung wissen wir, daß Personen durchaus in der Lage sind, von Gesichtern aus Film- oder Fotomaterial auf zugrundeliegende Persönlichkeitsmerkmale zu schließen und daß die übereinstimmung im allgemeinen recht hoch ist. Allerdings ist das Ausmaß der Beurteilerübereinstimmung abhängig vom zu bewertenden Aspekt; Attraktivität ist dabei eine der Eigenschaften, die von den Ratern sehr ähnlich eingeschätzt wird. Auf einzelne Studien dieser Art soll nicht genauer eingegangen werden, es sei denn, sie beschäftigen sich speziell mit Unterschieden der beiden Gesichtshälften. Im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitseindruck von Gesichtern verweise ich auf den überblick bei Henss (1998). Mit Attraktivitätseinschätzungen haben wir es hier auch zu tun, mit dem Unterschied, daß es nicht um vollständige, natürliche Gesichter geht, sondern jeweils um die beiden asymmetrischen Hälften, beziehungsweise um den Unterschied von Originalen und Spiegelbildern. Was verbinden wir eigentlich persönlich mit der rechten und der linken Seite? Assoziationen, die sich mit der Asymmetrie des Körpers im allgemeinen verknüpfen, lassen sich bis zu Aristoteles zurückverfolgen. Nach der Pythagoreischen Tabelle der Gegensätze ist die rechte Seite mit Männlichkeit, Geradem, Hellem, Gutem und Redlichem assoziiert, die linke dagegen mit Weiblichkeit, und der Vorstellung des Kalten, Dunklen, Schlechten und Bösen (Landau, 1995). Wir benutzen selbst oft Phrasen, die diesen Unterschied implizieren, beispielsweise sagen wir: "Er ist seine rechte Hand" oder: "Sie hat zwei linke Hände". Kann man diese Zuschreibungen von rechts und links auch auf das menschliche Gesicht anwenden? In der bereits erwähnten Untersuchung von Wolff (1933), in der er feststellte, daß die rechte Seite dem Gesamtgesicht mehr ähnelt als die linke, sucht er nach einem Erkärungsansatz für diesen Befund. Nach seiner Auffassung übermittelt die linke Hälfte des Gesichts eher die unbewußten, privaten, nicht akzeptierten Persönlichkeitsanteile und die rechte die bewußten, öffentlichen und akzeptierten Aspekte des Gesichtsträgers. Dies ist allerdings ein subjektiver Eindruck von Wolff selbst. Untersuchungen, die der Frage von spezifischen Attributionen zu den Gesichtshälften genauer nachgegangen sind, werde ich nun vorstellen. Karch und Grant (1978) interessierten sich dafür, ob systematische Unterschiede in der Beschreibung der beiden Gesichtshälften zu finden sind. Zu diesem Zweck stellen sie Composites in der Tradition von Wolff her, d.h. durch Zusammensetzen von 11 frontal fotografierten Originalhälften mit der jeweiligen Spiegelbildhälfte. Die Stimuluspersonen waren ausschließlich männliche Rechtshänder. Alle rechten Composites wurden jeweils auf einem Dia zusammengefaßt, alle linken auf einem zweiten. Das Experiment war in zwei Durchgänge gegliedert, die mit einer Woche Abstand durchgeführt wurden. 26 Versuchspersonen sahen im ersten Durchgang von den 11 Stimuluspersonen entweder die rechten oder die linken Composites als Dia, eine Woche später das andere Dia. Die Beurteilung wurde mittels neun bipolaren Adjektivskalen erfaßt, die dem Semantischen Diffential von Osgood entnommen wurden. Auf der Evaluationsdimension wurden die Skalen Gut - Schlecht, Sozial - Unsozial und Gesund - Krank benutzt, auf der Potenzdimension Hart - Weich, Maskulin - Feminin und Stark - Schwach, auf der Aktivitätsdimension Aufgeregt - Ruhig, Veränderlich - Stabil und Aktiv - Passiv. Bei sieben der neun Skalen wurden signifikante Ergebnisse gefunden. Die linken Composites wurden im Verhältnis zu den rechten als gesünder, härter, maskuliner, stärker, aufgeregter, aktiver wahrgenommen und als mehr in Richtung Schlecht auf der Gut–Schlecht-Skala im Sinne von böse, gemein. Die Schlußfolgerung von Karch und Grant ist zum einen, daß die beiden Seiten des Gesichts in der Tat unterschiedlich beurteilt werden und daß der linken Seite die Adjektive zugeschrieben werden, die man unter dem Begriff "Dominanz" zusammenfassen könnte. In Anlehnung an Wolffs subjektiven Eindruck hieße das, die öffentliche, bewußte rechte Seite ist auch die weniger aggressive und weniger dominante. Stringer und May (1981) kamen zu einem Ergebnis, das
mit dem eben referierten in Kontrast zu stehen scheint. Hier muß allerdings
näher auf die verwendete Methodik, insbesondere auf das Stimulusmaterial,
eingegangen werden. Im Gegensatz zu der üblichen Vorgehensweise, Fotografien
vergleichen zu lassen, benutzten Stringer und May Videoaufnahmen. Die
Stimuluspersonen waren 24 rechtshändige Frauen im Alter von 16 bis 78 Jahren.
Zur Herstellung der Stimulusmaterials für zwei Bedingungen, eine statische und
eine „live“- Bedingung wurden sie mit zwei Videokameras simultan aufgenommen,
wobei eine Kamera spiegelverkehrt aufnahm. Die Aufnahme erfolge jeweils entlang
einer optischen Achse, die die beiden Gesichtshälften trennte. Zwei Einheiten
von geteilten Bildschirmen erlaubten die Ausgabe von jeweils den beiden rechten
und den beiden linken Hälften, die mit dieser Methodik als Ganzgesichter
wahrgenommen wurden. In der "live"- Bedingung wurde nur die Kopfbewegung
verhindert, ansonsten keine Einschränkungen gemacht. Die Personen konnten,
während sie aufgenommen wurden, ihre eigenen Composites auf den Bildschirmen
sehen und zwischen dem rechten und dem linken hin- und herschalten. Die
statische Bedingung bestand darin, daß die Personen in einem Moment aufgenommen
wurden, als sie bewegungslos auf den Monitor blickten. Die Beurteiler sahen die
Stimuluspersonen in kleinen Gruppen, zwölf in der bewegten und zwölf in der
statischen Bedingung. Für jede Stimulusperson wurde auf zwei Monitoren simultan
die jeweils rechten und linken Hälften für 60 Sekunden dargeboten. Anhand einer
Liste von 10 Adjektiven sollte die Entscheidung getroffen werden, welchem der
beiden Gesichter eher diese Eigenschaft zuzuschreiben ist. Die Adjektive waren: "receptive", "intuitive", "feeling", "pleasant", "happy", "outgoing", "active", "thinking", "strong" und "tired". In einer zweiten Studie wurde der Aufbau dahingehend abgewandelt, daß die Beurteiler einmal zwölf Paare von Composites sahen, wie oben beschrieben, und einmal zwölf Paare von Halbgesichtern, bei denen ein Teil des Bildschirms abgedeckt war. In der Composite - Bedingung ergab sich ein Vorteil von "tired" für die linke und "strong"für die rechte Hälfte, bei der Halbgesicht- Bedingung wurde die linke Hälfte öfter als "happy" bezeichnet, die rechte als "thinking", "strong" und "tired". Auch hier finden sich signifikant unterschiedliche Attributionen zwischen den beiden Gesichtshälften, allerdings in einer anderen Richtung als bei der zuvor beschriebenen Untersuchung. Diese Unterschiede haben möglicherweise ihre Ursache in der Verschiedenheit des Stimulusmaterials, der Art der Darbietung und dem Geschlecht und Alter der Stimuluspersonen. Kowner (1995) befaßte sich ebenfalls in insgesamt sechs Einzelexperimenten mit Persönlichkeitsurteilen bezüglich der Gesichtshälften. Die ersten vier Teiluntersuchungen untersuchen systematische Unterschiede in den Eigenschaften, die der rechten oder der linken Gesichtshälfte attribuiert werden. Auch hier kamen wieder symmetrische Composites zum Einsatz, allerdings mit einer Neuerung gegenüber dem bisher üblichen einfachen Zusammensetzen der korrespondierenden Hälften als Split-Face-Technik: Computertechnisch wurde der Effekt der unnatürlich aussehenden Haare, Schatten, Hautunreinheiten und der bis dahin immer sichtbaren Trennlinien eliminiert. Hals und Schulterbereich waren vollständig ausgeschnitten, so daß zwei Fotos aus der Manipulation resultierten, deren Gesicht zwar symmetrisch war, aber die Bearbeitung der Fotos nicht auf den ersten Blick sichtbar. Der Eindruck, daß ein reales Gesicht gesehen wurde, resultierte vor allen Dingen aus der Abwesenheit einer symmetrischen Frisur. Im ersten Experiment waren Composites von 20 Schwarzweiß-Fotografien rechtshändiger Japaner benutzt worden, zur Hälfte Frauen. Während des Fotografierens wurden sie dazu aufgefordert, einen neutralen Gesichtsausdruck zu zeigen. Die Urteiler, japanische Studenten, waren in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste, aus 61 Studenten bestehende Gruppe sah jeweils nur ein Set von Stimuli, entweder die linken oder die rechten Composites. Die zweite Gruppe mit 31 Urteilern sah erst das eine, eine Woche später das komplementäre Set. Abhängiges Maß der Untersuchung waren die Urteile auf acht siebenstufigen Skalen, vier der momentanen Befindlichkeit und Emotion (glücklich - traurig, entspannt - nervös, gesund - krank, ausdrucksreich - ausdrucksarm) und vier des Charakters und der Persönlichkeit (gut - böse, ruhig - aggressiv, hart - weich, weiblich - männlich). Außerdem sollten Alterseinschätzungen vorgenommen werden. Für keine der Skalen ergaben sich signifikante Ergebnisse mit Ausnahme der Skala Gesundheit. Linke Gesichtshälften wurden als gesünder eingeschätzt als rechte, dies allerdings nur in der zweiten Gruppe, die beide Composites zeitversetzt sah. Ein zweites Experiment fand im Anschluß mit fast identischer Vorgehensweise statt, abgesehen davon, daß als Stimuluspersonen nun 10 linkshändige Japaner rekrutiert wurden, fünf Frauen und fünf Männer, und eine dritte Beurteilergruppe hinzugefügt wurde, die die Composites in der alten Technik von Wolff, also unbereinigt und als Manipulation erkennbar, sahen. In den beiden ersten Gruppen konnten keine signifikanten Unterschiede gefunden werden, in der dritten Gruppe mit der traditionellen Split-Face-Technik wurden die linken Hälften signifikant als jünger eingeschätzt und tendenziell als ausdrucksstärker und entspannter. Die dritte Teiluntersuchung entspricht in etwa der ersten mit dem Unterschied, daß als Stimulusmaterial hier Fotografien von Nicht-Japanern präsentiert wurden. Es handelte sich um rechtshändige Weiße, wiederum die Hälfte davon männlichen und die Hälfte weiblichen Geschlechts. Als einziges signifikantes Ergebnis für beide Gruppen führt Kowner die Wahl für die rechten Gesichtshälften als maskuliner an. Im vierten Teil wurden 24 Stimuluspersonen, teilweise Japaner und teilweise Weiße, davon 12 Männer und 12 Frauen, angewiesen, im Moment der Fotografie zu lächeln. Bei den Urteilern handelte es sich um 72 japanische Studenten. Für diese Bedingung wurden drei der Skalen signifikant, die linke Hälfte wird als aktiver, ausdrucksstärker und älter eingeschätzt. Insgesamt konnte mit den Experimenten von Kowner, wenn überhaupt, nur eine leichte Tendenz für einen konstanten Unterschied in der Beurteilung der Gesichtshälften gefunden werden. Die Ergebnisse hängen offenbar von mehreren Faktoren ab, wie beispielsweise der Nationalität der Stimulus- und Versuchspersonen oder der Art der Manipulationstechnik. Die Zuschreibung von Persönlichkeitseigenschaften fällt offensichtlich sehr unterschiedlich aus oder erbringt keine replizierbaren Ergebnisse. Stimmen die Beurteiler bei der Frage nach der Schönheit der jeweiligen Hälften eher überein als bei anderen Attributen? Was für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist, sind natürlich die Beurteilungen der Attraktivität der Halbgesichter. Im folgenden werden die Studien, die diese spezielle Beurteilungsdimension mit einbeziehen oder bei denen sie im Mittelpunkt steht, genauer beleuchtet. In einer späteren als der eben dargestellten Untersuchung ließ Kowner (1997) nicht nur die beiden Composites miteinander vergleichen, sondern auch das asymmetrische Originalgesicht. Als Stimulus- und Versuchspersonen wurden nur rechtshändige Japaner einbezogen. Die Versuchspersonen wurden in drei Gruppen aufgeteilt, von denen jede nur eine der möglichen Bedingungen sah, also sah eine Urteilergruppe nur Originale, eine andere nur rechte und die dritte ausschließlich linke Composites. Die Skalen der oben angeführten Untersuchung wurden beibehalten und noch eine zehnte Dimension mit eingeführt, nämlich die Skala mit den Polen attraktiv - unattraktiv. Es fand sich kein Unterschied zwischen den Ratings für die rechten und linken Composites, ebensowenig wie zwischen dem Original und den beiden symmetrischen Gesichtern. Ein Geschlechter-effekt bezüglich der Stimuluspersonen bestand darin, daß die weiblichen Gesichter insgesamt als passiver, femininer und jünger bewertet wurden. Außerdem ergab sich ein Haupteffekt des Geschlechtes der Urteiler: Weibliche Versuchspersonen bewerteten die Attraktivität der dargebotenen Gesichter insgesamt höher. In einem zweiten Experiment mit lächelnden Stimuluspersonen zeigte sich ein ähnliches Ergebnis. Ein Unterschied über alle Urteiler hinweg in der Zuschreibung von Merkmalen zu den Gesichtshälften und zum Original konnte nicht gefunden werden, allerdings wiederum ein Effekt des Geschlechts der Versuchsperson. Weibliche Urteiler bewerteten die Stimuluspersonen insgesamt als gesünder, attraktiver und jünger als männliche Urteiler. Hervorzuheben ist, daß bei der eben berichteten Untersuchung kein direkter Vergleich der beiden Gesichtshälften stattgefunden hat. Die Beobachter sahen ausschließlich eine der drei Versionen eines Gesichtes. Den Ansatz des direkten Vergleichs in einem forced-choice-Experiment benutzen Zaidel, Chen und German (1995). Ihr Ansatzpunkt war speziell die Erforschung der asymmetrischen Abbildung der Schönheit im Gesicht. Ihr Stimulusmaterial bestand aus linken und rechten Composites, die aus Fotografien von 21 Frauen- und 17 Männergesichtern hergestellt wurden. Den Versuchspersonen, 26 rechtshändigen Studenten, wurden die zusammengehörigen Composites eines Originals jeweils 10 Sekunden lang simultan nebeneinander präsentiert, wobei über die Versuchspersonen die Darbietung der Composites auf der rechten und linken Bildschirmseite ausbalanciert war. Die Fragestellung war, welches der beiden Bilder das attraktivere sei, wobei "Gleich"-Antworten erlaubt waren. Als Ergebnis fand sich ein Interaktionseffekt für Gesichtsseite x Geschlecht der Stimulusperson: Bei den weiblichen Gesichtern wurden die rechten Composites mit 50% der Wahlen als signifikant attraktiver eingeschätzt als die linken (Wahlrate 25%). Bei Männergesichtern konnten keine interpretierbaren Unterschiede gefunden werden. Zaidel et al. versuchten anschließend festzustellen, ob dieser Effekt an einem unsymmetrischen Gesichtsausdruck der Stimuluspersonen liegen könnte. Anders ausgedrückt, ob die rechten Composites freundlicher aussehen, das Lächeln also stärker ausgeprägt ist und aus diesem Grund positiver bewertet werden. Sie verwendeten die gleiche Methodik und die gleichen Stimuli wie im ersten Teil, verändert war nur die Aufgabe der Versuchspersonen. Sie sollten sich nun für das Gesicht entscheiden, das stärker lächelte. Es zeigte sich, daß im Gegensatz zur Annahme auf den linken Composites von Männer- und Frauenbildern das Lächeln stärker ausgeprägt ist. Bei Frauen ist der Unterschied in den Gesichtshälften signifikant größer als bei Männern. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, daß vor allem bei Frauen emotionaler Ausdruck und Attraktivität kontralateral angelegt sind. Zaidel et al. sehen ihre Forschung eingebettet in eine evolutionstheoretische Sichtweise. Frauen sind nach der Partnerwahltheorie eher darauf bedacht, einen zuverlässigen Ernährer zu finden, Männer wählen eher Frauen, die hohen reproduktiven Wert signalisieren, beispielsweise durch Jugendlichkeit und Gesundheit, wofür Attraktivität ein bedeutendes Hinweiszeichen ist. Die physische Erscheinung des Mannes spielt offenbar keine so große Rolle, was die Entscheidungsfindung der Frau angeht. Das heißt, daß eine nicht so deutliche Asymmetrie in Männergesichtern einhergeht mit einer nicht so stark ausgeprägten Hemisphärenspezialisierung, wie sie für Frauen angenommen wird. Eine deutliche Asymmetrie in Frauengesichtern macht auch Sinn, wenn die verschiedenen Signale, Attraktivität oder Partnerwert auf der einen und Kommunikation auf der anderen Seite, von Männern jeweils mit der Gehirnhälfte verarbeitet werden, die dafür spezialisiert ist. Die Trennung von Lächeln und Schönheit im Gesicht einer Frau könnte also im Zusammenhang stehen mit einem evolutionären Druck zur Spezialisierung der beiden Hirnhälften, vor allem beim Mann. Werfen wir nun einen Blick auf die Darstellungen von Gesichtern im täglichen Leben, in Kultur und Kunst. Wenn die Ansicht von Zaidel et al. allgemeingültig ist, sollte sich diese Verschiebung auch hier niederschlagen. Vor allem bei Zeichnungen, Portraits und Fotografien von Frauen ist zu erwarten, daß die attraktivere rechte Hälfte häufiger im Vordergrund dargestellt wird. Conesa, Brunold-Conesa und Miron (1995) führten eine Zählung über Portraits aus verschiedenen Medien durch. Beinhaltet waren Gemälde, Zeichnungen, Daguerrotypien, Fotografien und ähnliches Material aus 450 Jahren Kunst, von verschiedenen Kulturen, Geschlechtern und Künstlern. Die Häufigkeiten von fünf Posen wurden erhoben, nämlich Linksprofil, Halblinksprofil, Frontalansicht, Halbrechtsprofil und Rechtsprofil. Insgesamt wurden Daten von 4.180 Objekten erhoben. Am häufigsten wurden Halbprofilansichten gefunden, viel seltener Frontalansichten (bei 185 Objekten) oder reine Profile (172 Linksprofile, 131 Rechtsprofile). Der Vergleich zwischen Halblinks- und Halb-rechtsprofilen ergab einen Vorteil für die Linksdarbietung mit 1.990 gegenüber 1.702 Darstellungen Die Autoren betrachten dieses Ergebnis als einen Hinweis für die überlegenheit des linken Gesichtsfeldes für ästhetische Urteile. Die hervorstechenden physiognomischen Merkmale bei Halblinksdarstellungen wie Mund, Nase und Auge befinden sich vom Betrachter aus gesehen links. Möglicherweise ist die Häufigkeit der Darstellungen von Gesichtern nach links, vor allem bei Gemälden und Zeichnungen, auch das Ergebnis einer biologischen Evolution. Hufschmidt (1980) stellt in übereinstimmung mit Van der Meer (1958) fest, daß, wenn Rechtshänder aufgefordert werden, ein Profilgesicht zu zeichnen, dies zu 80% nach links gerichtet ist. Das bedeutet, daß die prominenten Gesichtszüge, Nase und Auge, auf der linken Seite und damit eher im linken visuellen Feld liegen. Da man in der Regel bei diesen schwierigeren Merkmalen zu zeichnen anfängt, würde die Malrichtung auch der Schreibgewohnheit entsprechen. Bereits gezeichnete Elemente können nicht mit der Handkante verwischt werden, wenn die einfachen Elemente wie der Hinterkopf hinzugefügt werden. Aufgrund archäologischer Funde und Artefakte schließt der Autor, daß schon ab der Steinzeit eine Tendenz, Gesichter in eine Richtung zu zeichnen, bestanden hat. Allerdings war diese Richtung bis etwa zur frühgriechischen Zeit die rechte, beispielsweise bei Höhlenmalereien. Ab dieser Zeit ist allerdings eine Häufung der Darstellungen nach links zu beobachten, was nur schwerlich mit der Entwicklung der Händigkeit erklärbar ist, da man den relativen Anteil der Linkshänder als konstant annimmt. Vielmehr geht der Autor davon aus, daß eine Entwicklung stattgefunden hat in Richtung einer Rechtsdominanz des Gehirns für höhere Sehleistungen, die zu der Präferenz des linken visuellen Feldes führen konnte. Die Häufigkeit des Auftretens von linken oder rechten Gesichtsansichten hat sich wohl nicht nur über die Jahrtausende verändert, sondern unterlag gerade in den letzten sechs Jahrhunderten starken Schwankungen, wie Grüsser (1984) aufzeigt. Es wurden über 900 Portraitgemälde aus verschiedenen Jahrhunderten nach der Kopfposition der dargestellten Person untersucht. Abbildung 1.3 verdeutlicht die Abnahme der Linksansichten über die Jahrhunderte zugunsten von Frontal- und Rechtsansichten. Dieser Wandel ist schwerlich mit einer Weiterentwicklung der Gehirnspezialisierung zu erklären, er resultiert vielmehr aus dem Wegfall bestimmter Konventionen in der Malerei, die unter anderem auch religiösen Ursprungs sind. Paare wurden beispielsweise so plaziert, "... daß der Mann, heraldisch gesehen, ...rechts vom Priester auf der Evangeliarseite, die Frau dagegen links vom Priester auf der Epistularseite steht..." (Hufschmidt, 1980, S. 36). Abbildung 1.3: Entwicklung von Portraitansichten. Bei der Betrachtung der Richtung der Kopfdrehung bei bestimmten Künstlern lassen sich ebenfalls Spezifika feststellen. So malte Rembrandt öfter die linke Seite des Gesichtes, wenn das Modell weiblich war und bei Personen, die nicht mit ihm verwandt waren. Die rechte Seite erscheint öfter in Selbstportraits, bei Männern als Modell und bei Verwandten Rembrandts (Humphrey und McManus, 1973). ähnlich sieht die Auswertung der Gemälde von Goya aus. Die linke Seite des Gesichts ist häufiger bei weiblichen Modellen dargestellt, die rechte dagegen bei Männern (Gordon, 1974). Um die Eindruckswirkung von Leonardo da Vinci´s Gesichtsdarstellungen näher zu beleuchten, schufen Benjafield und Segalowitz (1993) ein Setting, in dem verschiedene Zeichnungen anhand von zehn Skalen des semantischen Differentials bewertet wurden. Als Stimulusmaterial wurden vier Zeichnungen von Männergesichtern und vier von Frauengesichtern benutzt, von denen jeweils die Hälfte mit dominanter rechter oder linker Gesichtshälfte dargestellt ist. Außerdem wurden diese acht Zeichnungen jeweils gespiegelt abgebildet und jede der 19 Versuchspersonen erhielt alle 16 Bilder in zufälliger Reihenfolge, die auf Siebenpunkteskalen zu bewerten waren. Werte auf einer zehnten Skala, die die Schönheit des Gesichtes erfassen soll, wurden zwar erhoben, aber nicht in die Auswertung mit einbezogen. Insgesamt zeigte sich, daß Frauen auf der Evaluationsdimension positiver beurteilt werden als Männer. Auf der Potenzdimension ergab sich ein Haupteffekt dahingehend, daß Frauengesichter als schwächer beurteilt werden als Männergesichter. Für diese sowie für die Aktivitätsdimension fand man einen Interaktionseffekt. Es weisen Originale zur rechten Seite und Spiegelbilder zur linken Seite höhere Werte auf als die umgekehrten Fälle. Die Autoren interpretieren dies als Hinweis auf eine dem Gesicht inhärente Eigenschaft, die unabhängig vom visuellen Feld ist. Offenbar liegt die Entscheidung, welche Gesichtsseite prominent dargestellt wurde, bei Da Vinci unter anderem auch darin, welchen Eindruck das Portrait auf den Betrachter machen soll. Eine dominante Darstellung der rechten Hälfte erweckt eher den Eindruck von starken, aktiven Gesichtern. Zaidel und Fitzgerald (1994) betrachteten nicht einen einzelnen Künstler wie die eben vorgestellten Forscher, sondern beziehen verschiedene Künstler aus verschiedenen Epochen ein. In Gemälden der letzten Jahrhunderte wurden die portraitierten Personen häufiger so dargestellt, daß die linke Gesichtshälfte stärker dominiert und diese Tendenz ist bei Frauen noch ausgeprägter als bei Männern. Die Ausgangsfrage war, ob die Orientierung der Gesichter und das Geschlecht der dargestellten Person einen Einfluß hat auf die Beurteilung durch den Betrachter. Das Stimulusmaterial bestand aus 48 Farbdias von Portraits, die aus vier europäischen Museen stammen. Auswahlkriterien waren, daß nur eine Person auf dem Bild zu sehen war, das Modell eine reale Person war und diese eine deutliche Kopfdrehung nach links oder rechts aufweisen mußte. 19 Frauen- und acht Männerportraits mit dominanter linker Gesichtshälfte und sechs Frauen- und 15 Männerportraits mit dominanter rechter Gesichtshälfte fanden in der Untersuchung Verwendung. Die Versuchspersonen, 43 rechtshändige Studenten, etwa zur Hälfte Männer und zur Hälfte Frauen, wurden zufällig einer von zwei Bedingungen zugewiesen: Ein Teil der Versuchspersonen sahen die Originaldias, die anderen eine spiegelverkehrte Version. Erhoben wurde, wie sehr die Beobachter das Portrait als ganzes mochten. Für jedes Dia war eine Beurteilung auf einer fünfstufigen Ratingskala von „mag ich überhaupt nicht“ bis „mag ich sehr“ abzugeben. über beide Geschlechter der Stimuluspersonen fand man einen Haupteffekt der Gesichtshälfte. Bilder, auf denen die originale rechte Seite zu sehen war, wurden eher bevorzugt, unabhängig davon, welches Geschlecht das Modell hatte und ob ein Original oder Spiegelbild gesehen wurde. Die rechte Hälfte wurde auch dann bevorzugt, wenn sie aufgrund der Spiegelung auf den Beobachter wie eine linke wirkte. Betrachtet man die Ergebnisse genauer, kann man erkennen, daß diese Bevorzugung hauptsächlich aus der Beurteilung der Frauengesichter resultiert. Während man bei Männern keine signifikante Rechts-Links-Differenz finden kann, werden bei Frauengesichtern die Portraits mit rechten Hälften stärker präferiert. Dies gilt sowohl für die Original- als auch für die Spiegelbedingung. Aufgrund dieser Ergebnisse schließen Zaidel und Fitzgerald aus, daß die Beurteilung der Bilder auf einem Effekt des Gesichtsfeldes und der Spezialisierung der Gehirnhälften beruht. In einem Folgeexperiment wurde untersucht, ob die Bevorzugung der jeweiligen Bilder auf die Attraktivität der abgebildeten Personen zurückzuführen ist. Mit einer anderen Versuchspersonengruppe wurde mit gleichem Material und bei gleichem Versuchsplan wie eben beschrieben vorgegangen. Das zu beurteilende Merkmal war aber hier die Attraktivität der Modelle. Insgesamt ergab sich ein in der Attraktivitätsforschung bekannter Effekt des Geschlechtes, weibliche Modelle wurden als attraktiver als männliche beurteilt. Aus dem Interaktionseffekt Gesichtshälfte x Geschlecht kann man herauslesen, daß weibliche Modelle als attraktiver beurteilt werden, wenn die rechte Gesichtshälfte prominent ist, bei Männern finden sich keine signifikanten Unterschiede. Dieser Befund gilt sowohl für die Originalversionen als auch für die spiegelverkehrt abgebildete Version. Zaidel und Fitzgerald konstatieren, daß es sehr wohl vom visuellen Feld unabhängige Effekte der Gesichtshälftenbeurteilung gibt und sich diese bei Frauen deutlich nachweisen lassen. Einfacher ausgedrückt, vor allem bei Frauen sind die rechten Gesichtshälften schöner als die linken. Demnach wurden Frauen offensichtlich über die Jahrhunderte häufiger in einer für sie ungünstigen Perspektive gemalt. Die Autoren führen das auf Konventionen der Portraitmalerei und auf eigene Wünsche der Auftraggeber zurück. Die Methode der Spiegelung von Stimulusmaterial wurde bereits bei der Beschreibung der verschiedenen Studien erwähnt. Spiegelbilder wurden zumeist benutzt, um den Einfluß des visuellen Feldes auf die Urteile zu erforschen. Aber sind Menschen in der Lage, zwischen Original und Spiegelbild zu unterscheiden? Und wird eine der beiden Orientierungen der anderen vorgezogen? Sehen wir uns nun einige Untersuchungen genauer an, die sich mit dem Einfluß der Orientierung von Gesichtern auf die Urteile des Betrachters befassen. Abbildung 1.4: ? Eine ganze Reihe von Untersuchungen beschäftigt sich mit dem Einfluß, den eine Inversion eines Bildes auf die Urteile des Betrachters hat. Eine Inversion ist ebenfalls ein Spiegelung, allerdings an der horizontalen Achse, also in vertikaler Richtung. Wir sehen ein invertiertes Bild als auf dem Kopf stehend. Bei Gesichtern, die an der x-Achse gespiegelt sind, ist für den Betrachter unschwer zu erkennen, daß es sich um eine unnatürliche, manipulierte Bedingung handelt. Da diese Testbedingung für die vorliegende Untersuchung von geringem Interesse ist, soll lediglich angemerkt werden, daß Attraktivitätsurteile von einer Inversion stark beeinflußt sind. Im allgemeinen sind die Urteile über die Schönheit des Gesichtes weniger stark differenziert, als dies in einer aufrechten Ansicht der Fall ist (vgl. Bäuml, 1994; Schnelzer, 1995). Für die vorliegende Arbeit sind nicht Inversionen von Interesse, sondern horizontale Spiegelungen, wobei die Rechts-Links-Seiten vertauscht sind. Von dieser Art Spiegelbild wird im folgenden auch ausschließlich die Rede sein. Abbildung 1.4: Dame mit Hut Betrachten Sie sich bitte Abbildung 1.4 auf der vorhergehenden Seite genauer. Können Sie auf Anhieb erkennen, was dieses Bild darstellt? Wie lange brauchen Sie, um herauszufinden, daß das Bild eine „Dame mit Hut“ ist? Für viele Menschen ist es leichter, eine Darstellung zu identifizieren, wenn sie in einer bestimmten Orientierung dargeboten wird. Fürst (1993) fand eher zufällig heraus, daß die Mehrzahl der Beobachter in dieser Dame mit Hut, die eine Illustierung für eine Werbeanzeige war, zuerst eine "Schleife mit Brille" (Ennenbach, 1994, S. 46) oder ähnliches gesehen hatten. Ausgehend von dieser Beobachtung wurde eine wissenschaftliche Untersuchung von Ennenbach durchgeführt, in der einer Gruppe von Versuchspersonen jenes Bild und einer anderen Gruppe Abbildung 1.5 präsentiert wurde. Die erste Aufgabe der Versuchspersonen war, zu benennen, was sie sahen und die zweite, eine Ablenkungsaufgabe, die nicht ausgewertet wurde, zu beurteilen, wie ihnen das Bild gefiel. Für die erste Beurteilung wurde eine Reaktionszeitmessung durchgeführt, um Unterschiede in der Wahrnehmungsgeschwindigkeit von der Dame mit Blick nach rechts oder Blick nach links erfassen zu können. Dabei wurde eine Reaktionszeit bis zu 6 Sekunden als " "normal" gewertet alles, was darüber hinausging, als lange Latenzzeit. Es zeigte sich, daß bei Abbildung 1.4, der Dame mit dem Blick nach rechts, die Reaktionszeiten signifikant höher waren als in der gespiegelten Version 1.5. Es ist also leichter, die Grafik zu identifizieren, wenn das Gesicht der Frau nach links gerichtet ist als wenn es nach rechts blickt. Beim Blick nach rechts wird das Augenmerk eher auf die linke Seite des Bildes gelenkt, also in diesem Fall der Rücken der Person und determiniert dadurch die Fehlurteile über das, was das Bild darstellt. Offenbar ist es für die meisten Menschen leichter, visuelle Stimuli in einer bestimmten Orientierung zu erkennen und zu verarbeiten. In einer Untersuchung von Bruyer und Craps (1985) stand die Frage der ähnlichkeit der unterschiedlichen Gesichtsorientierungen im Vordergrund. Als Stimulus-material wurden Dias benutzt mit jeweils vier unterschiedlichen Ansichten eines Fotos, nämlich Original, Spiegelbild, rechtes Composite und linkes Composite, die quadratisch angeordnet waren. Die Plazierung der vier Bilder in einem Quadrat wurde für jedes Dia variiert. Die Versuchspersonen sollten die beiden Bilder bestimmen, die sich am ähnlichsten sahen und die beiden, die sich am unähnlichsten waren. Es stellte sich heraus, daß –im relativen Verhältnis aller möglichen Paarungen - Original und Spiegelbild als signifikant ähnlicher eingeschätzt wurden als die anderen möglichen Paarungen und die beiden Composites als die einander unähnlichsten. In einem zweiten Teilexperiment versuchten die Autoren herauszufinden, ob Personen überhaupt in der Lage sind, zwischen den beiden ähnlichsten Versionen, Original und Spiegelbild, zu diskriminieren. Es wurden drei Subgruppen von Versuchspersonen rekrutiert, die sich in ihrer Vertrautheit mit den Stimuluspersonen unterschieden. Die erste Gruppe bestand aus Menschen, die mit den Stimuluspersonen eng zusammenarbeiteten und die Gesichter gut kannten. Ein Stimulusfoto stammte jeweils von einer Person dieser Gruppe selbst. Die Bekanntheit dieses Gesichtes ist natürlich extrem hoch, allerdings in einer speziellen Weise: Außer auf Fotografien kann man sich selbst natürlich nur im Spiegel betrachten. Die Spiegelbildversion des eigenen Gesichtes ist demnach die bekanntere Ansicht. Einer zweiten Gruppe wurde ein Set von Fotografien der Stimuluspersonen eine Woche vor dem eigentlichen Test ausgehändigt mit der Instruktion, sich mit ihnen vertraut zu machen, um später in der Lage zu sein, sie wiederzuerkennen. Der dritten Gruppe war das Stimulusmaterial völlig unbekannt. Die zehn Stimulusgesichter wurden jeweils gespiegelt und die daraus resultierenden 20 Dias den Versuchspersonen in randomisierter Reihenfolge für jeweils fünf Sekunden gezeigt. Es sollte angegeben werden, ob ein gesehenes Dia ein Original oder ein Spiegelbild war. Außerdem bewerteten die Versuchspersonen die Sicherheit, mit der dieses Urteil gefällt wurde auf einer Siebenpunkteskala, deren Pole "überhaupt nicht sicher" und "sehr sicher" waren. Was die korrekten Urteile betrifft, fand sich ein Haupteffekt des Bekanntheitsgrades. Die zweite Gruppe, deren Teilnehmern die Stimuluspersonen künstlich bekannt gemacht worden waren, erzielte die höchste Trefferzahl bei ihren Entscheidungen. Die beiden anderen Gruppen unterschieden sich nicht voneinander. Ihre Trefferzahl war nicht signifikant von einem zufälligen Ergebnis abweichend. Dies zeigt, daß Personen normalerweise nicht in der Lage sind, zwischen Original oder Spiegelversion zu unterscheiden. Das gilt sowohl dafür, daß ihnen die Personen völlig unbekannt sind als auch für die Situation, daß es sich um Gesichter handelt, die man täglich sieht. Nur in der experimentellen Bedingung, daß Versuchspersonen aufgefordert werden, sich die Gesichter ganz genau einzuprägen, findet man von einem Zufallsergebnis abweichende korrekte Antworten. Offenbar sind Menschen in Interaktionen des täglichen Lebens "... unfähig, die Gesichtsasymmetrie in Betracht zu ziehen" (Bruyer und Craps, 1985, S. 60, übers. d. Verf.). Zu einem gegensätzlichen Ergebnis kamen Tomita und Onodera (1994). Ihre Stimuluspersonen waren sechs Männer und sechs Frauen, die mit den Versuchspersonen zusammenarbeiteten und deren Gesichter ihnen damit ebenfalls gut bekannt waren. Zu jedem Originalfoto wurden ein Spiegelbild, ein rechtes und ein linkes Composite hergestellt. Jeweils zwei dieser Stimuli wurden in sechs Paarungen mit der Fragestellung dargeboten, welches der beiden Bilder der Person mehr ähnelte, wobei die Seitendarbietung der Bilder ausbalanciert war. Die Hypothese zu dieser Versuchsanordnung war, daß das Original als dem Gesicht am ähnlichsten bewertet würde, an zweiter Stelle das rechte Composite. Für diese Aussage stützen sich die Forscher auf die Ergebnisse von Gilbert und Bakan sowie Rhodes, die bereits genauer dargestellt wurden. Da die rechte Gesichtshälfte offenbar mehr Informationen über die Identität des Gesichtsträgers vermittelt, sollte sie auch als dem Original ähnlicher als das linke Composite oder das Spiegelbild bewertet werden. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Rangordnung der Versionen eines Bildes, die als der Person am ähnlichsten eingeschätzt wurden. An erster Stelle steht das Originalfoto, wenn es mit den anderen drei Versionen kombiniert ist. Offenbar konnten die Versuchspersonen hier sehr genau zwischen Original und Spiegelbild sowie den anderen Ansichten diskriminieren. An zweiter Stelle stand, entgegen der Voraussage, das Spiegelbild. Danach folgen rechtes und linkes Composite. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Originale als die beste Repräsentation des Gesichtes herausgefiltert wurden, die Spiegelbilder dem Gesicht mehr ähneln als die Composites und bei diesen beiden das rechte Composite einen Vorteil vor dem linken hat. Ein linkes Composite ist also die denkbar schlechteste Repräsentation eines Gesichtes. Diese Ergebnisse haben auch in einer zweiten Bedingung Bestand, bei denen die Frisur der Stimuluspersonen mit einem Haarband verdeckt war. Die Beurteiler beziehen ihre Informationen also primär aus dem Gesicht selbst und nicht aus Merkmalen wie beispielsweise der Haartracht einer ihnen bekannten Person und können bei diesen Gesichtern Original und Spiegelbild gut unterscheiden. Ein weiterer interessanter Forschungsbericht, der sich mit der Wahrnehmung und dem Bevorzugen von Spiegelbildern, genauer gesagt mit Gemälden von Marienverkündigungen beschäftigt, auf den an dieser Stelle aber nicht weiter eingegangen werden soll, findet sich bei Kube (1992). Bei Asthana und Mandal (1996) stand die Entscheidung über die Intensität von Emotionen bei Originalen und Spiegelbildern im Vordergrund. Fotografien von 20 Frontalgesichtern beiderlei Geschlechts, die zur Hälfte fröhlich und zur Hälfte traurig aussahen, wurden mit dem jeweiligen Spiegelbild übereinander zu Sets zusammengestellt, wobei die Oben-Unten-Darstellung ausbalanciert war. Die Versuchspersonengruppe war auf 40 rechtshändige Männer eingeschränkt. Die Beurteiler sollten sich in einer forced-choice-Aufgabe entscheiden, welches der beiden Bilder den intensiveren emotionalen Ausdruck zeigte. Es ergab sich ein Vorteil über beide Emotionen für die Spiegelbedingung, Spiegelungen wurden also als emotionaler beurteilt. Asthana und Mandal erklären die Wahrnehmung des intensiveren Ausdrucks im Spiegelbild mit dem Zusammentreffen zweier Faktoren. Zum einen sind auf der linken Gesichtshälfte die Affekte deutlicher ausgeprägt, zum zweiten besteht eine Dominanz des linken visuellen Feldes bei der Gesichterbeurteilung. In der Spiegelversion eines Fotos treffen diese Faktoren zusammen. In der bereits im Zusammenhang mit Identitätsurteilen dargestellten Untersuchung von Chen, German und Zaidel (1997) wurde als Ergebnis festgehalten, daß es vom visuellen Feld abhängt, welches der Composites dem Referenzgesicht mehr gleicht. Die Entscheidung, welches Halbgesicht dem ganzen Gesicht ähnlicher sieht, wird ihrer Meinung nach von der rechten Gehirnhälfte dominiert. In einer anderen Versuchsanordnung prüfen Chen et al., ob dies ebenso für die Attraktivität gilt. Wenn Attraktivitätsurteile ebenso wie Identitätsurteile durch das visuelle Feld beeinflußt werden, müßten sich die Bewertungen für Original und Spiegelbild deutlich unterscheiden. Das gleiche Stimulusset wie im vorangegangenen Experiment wurde benutzt, 38 Männer- und Frauengesichter. Die Versuchspersonen, alles Rechtshänder, wurden zwei verschiedenen Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe sah nur original orientierte, eine andere ausschließlich spiegelbildliche Gesichter. Ihre Aufgabe bestand darin, auf einer Fünfpunkteskala die Attraktivität der dargestellten Person zu beurteilen. Der Faktor der Orientierung wurde nicht signifikant. Die Beurteiler bewerteten Originale und Spiegelbilder als gleich attraktiv. Chen, German und Zaidel schließen daraus, daß im Gegensatz zu anderen Beurteilungsdimensionen das visuelle Feld für die Bewertung der Attraktivität eines Gesichtes keine Rolle spielt. Damit soll der überblick über den Stand der Forschung beendet und kurz erläutert werden, wie sich die eigene Arbeit in den Themenkomplex "Beurteilung der Attraktivität von Gesichtern in verschiedenen Ansichten und Orientierungen" einfügt. In der vorliegenden Untersuchung soll genauer beleuchtet werden, ob die beiden Gesichtshälften von den Beurteilern als unterschiedlich attraktiv betrachtet werden. Einige Ergebnisse der bereits vorgestellten Studien legen nahe, daß gerade bei Frauengesichtern die rechte Hälfte eher Informationen über Attraktivität übermittelt als die linke. Desweiteren wird der Frage nachgegangen, ob Spiegelungen die Entscheidungen über die Attraktivität beeinflussen. Bei Spiegelbildern bleiben die physiognomischen Merkmale gleich, es kehrt sich allerdings die Darbietungsseite um. In einer dritten Fragestellung wird versucht, festzustellen, ob die Art der Darbietung, also ob ein Foto links oder rechts auf dem Monitor präsentiert wird, Auswirkung auf die Urteile hat. Das Experiment ist so angelegt, daß insgesamt 30 Originalgesichter von Frauen manipuliert wurden, um verschiedene Versionen eines Gesichtes zu erhalten. Diese Versionen sind Spiegelung des Originalgesichtes, Halbierungen von Original und Spiegelbild und rechte und linke Composites. Insgesamt resultierten acht Paarungen von Gesichterversionen, zwei von Vollgesichtern und sechs von Halbgesichtern, da die vier Hälften aus Original und Spiegelbild vollständig miteinander kombiniert wurden. Jede Versuchsperson sah alle 30 Frauengesichter in jeweils nur einer der acht Bedingungen. Die Untersuchung war als Internetexperiment konzipiert, das heißt, der Fragebogen mit den Paarvergleichen war als Internetseite abrufbar, um möglichst viele Versuchspersonen aus aller Welt rekrutieren zu können. Der Versuchsablauf sah so aus, daß für alle Stimulusgesichter zusammengehörende Bildpaare, zum Beispiel Original und Spiegelbild, simultan auf dem Bildschirm dargeboten wurden. Auf einer fünfstufigen Ratingskala sollten die Teilnehmer die Wahl treffen, welches der beiden Fotos einer Person das attraktivere ist und ob ihrer Meinung nach der Unterschied eher klein oder recht groß ist. Dabei war die Darbietungsseite der Paare am Bildschirm ausbalanciert, das heißt, jedes Bildpaar wurde so präsentiert, daß jedes Bild etwa gleich häufig auf der rechten Seite wie auf der linken Seite gesehen wurde. Durch den Vergleich von verschiedenen Gesichtshälften wurde versucht, herauszufinden, ob bei weiblichen Stimuluspersonen eine Gesichtshälfte attraktiver ist als die andere und ob dies für alle Personen die gleiche Hälfte ist. Zu dieser Fragestellung wurden die Wahlraten für die beiden Composites ausgewertet sowie die der Halbgesichtbedingungen, bei denen rechte und linke Gesichtshälften dargeboten wurden, unabhängig davon, ob diese gespiegelt waren oder nicht. Die Auswirkungen von Spiegelungen auf die Attraktivitätsratings wurde durch den Vergleich von Original- und Spiegelbild erforscht sowie durch den Vergleich von Gesichtshälften mit ihrem gespiegelten Gegenstück. Außerdem war es möglich, durch die Ausbalancierung der Darbietung der Bildpaare auf dem Monitor festzustellen, ob die Beurteilungen dadurch beeinflußt waren, ob ein Foto links oder rechts präsentiert wurde. Mit dieser dritten Fragestellung soll der Einfluß, den das visuelle Feld auf Attraktivitätsurteile hat, verdeutlicht werden. Es wird ein Einfluß der Gesichtsseite dahingehend erwartet, daß die rechte Gesichtshälfte als attraktiver als die linke betrachtet wird und daß dies für alle Gesichter und alle Varianten der Paarvergleiche gilt. Für den Vergleich von Originalen und Spiegelbildern wird kein Unterschied in der Attraktivitätsbeurteilung erwartet. Die Darbietung am Bildschirm, also der Einfluß des visuellen Feldes, sollte keine Abweichungen in den Bewertungen zur Folge haben. Im folgenden Kapitel wird genauer erläutert, mit welchen Methoden die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit untersucht wurden.
[2] In diesem Fall wird auch bei free–vision-Bedingungen ohne Fixationskontrolle durch beispielsweise ein Tachistoskop der Mittelpunkt des Gesichts, also die Nase, als Fixationspunkt angenommen. zurück [3] Zur speziellen Problematik der Erfassung der Handpräferenz und Einfluß von familiärer Linkshändigkeit auf Wahrnehmung und Beurteilung durch Rechtshänder verweise ich auf die Ausführungen von Spiel (1988), Siegrist (1956) und Swelam (1989). zurück |